Der gestern enthüllte Skandal um Innenminister Sienkiewicz (PO) und Zentralbankchef Belka entwickelt sich immer mehr zu einem Politskandal, den Polen schon lange nicht mehr gesehen hat. Wahrscheinlich müssen beide Protagonisten abtreten. Doch eröffnen sich jetzt neue Chance für die polnische Linke?
Diskontinuitäten kommen in der polnischen Politik immer seltener vor – ein Zeichen für eine sich festigende Demokratie. Immerhin feiert der Nachbar Deutschlands aktuell 25 Jahre Demokratie, 15 Jahre in der Nato sowie zehn Jahre Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Das Land hat somit schon eine, wenn auch kurze, demokratische Tradition entwickeln können. Ein Zeichen dieser Stabilität ist eine Koalition aus Bürgerplattform (PO) und Bauernpartei (PSL), die seit 2007 schon die zweite Legislaturperiode eine Regierung bildet – ein Novum in Polen. Vorher sind Regierungen fast im Monats- oder Jahrestakt ausgewechselt worden und Neuwahlen waren gewöhnliches Tagesgeschäft. Früher jagte eine Affäre die nächste und die Presse überschüttete die Bevölkerung mit geheimen Abhörbändern, die zeigten, wie Politik hinter den Kulissen funktioniert. Einige dieser Affären wie die Aufnahmen von Renate Berger oder die Rywin-Affäre veränderten die politische Szene auf Dauer. Seit gestern scheint es wieder so zu sein – ein Rückfall in eine schon vergangen geglaubte Zeit. Das Wochenblatt Wprost veröffentlichte Aufnahmen, auf denen unter anderem zu hören ist, wie Innenminister Bartlomiej Sienkiewicz (PO) und der polnische Zentralbankchef Marek Belka einen politischen Deal aushandeln. Unmittelbar nachdem die Aufnahmen an die Öffentlichkeit gelangten, wurde klar: die Regierung um Premierminister Donald Tusk (PO) ist in Bedrängnis. Jetzt spitzt sich die Lage zu, Fußball ist nicht mehr König der Medien. Der „Abhörskandal“ könnte sich zum Skandal der Regierung Tusk entwickeln.
Kommentare und Reaktionen
Dass die Affäre ein gefundenes Fressen für die Opposition darstellt, ist nicht zu bestreiten. Was verständlich ist. Doch scheint die gesamte Stimmung zu kippen. Politische Kommentatoren lassen kein gutes Haar an der Regierung. Von mafiösen Strukturen, Konspiration und politischer Korruption kann der gemeine Bürger auf polnischen Informationsportalen lesen und in den Nachrichten hören. Nebenbei wird die einfache Sprache der Politiker, die gespickt mit vielen Schimpfwörtern sei, von den Medien kritisiert. Auch denken die Meinungsmacher darüber nach, warum die Aufnahmen gerade jetzt veröffentlicht worden sind und welcher Zweck im Hintergrund verfolgt wird. Vermutet wird ein Ablenken von der Affäre rund um Mariusz Kaminski (Recht und Gerechtigkeit, PiS) oder ein Angriff auf Innenminister Sienkiewicz, der innerhalb seines Ministeriums wichtige Posten neu besetzen soll. Für unwahrscheinlich wird ein Angriff der Opposition gehalten, denn dafür wäre der Zeitpunkt nach Wahlen nicht sonderlich klug gewählt.
Die Affäre ein Gewinn für die Linke?
Man könnte meinen, dass der erneute Skandal eine Chance für den Bund der Demokratischen Linken (SLD) ist, um aus der Krise zu kommen, in dem die Partei sich seit 2005 befindet. Doch weit gefehlt. Marek Belka wird mit der SLD in Verbindung gebracht, deren formales Mitglied er bis zum Jahre 2005 war. Daher erscheint eine andere Entwicklung wahrscheinlich: Radikale Kräfte um Janusz Korwin-Mikke, der ein überraschend gutes Ergebnis bei den letzten Europawahlen erreichte, könnten bei den anstehenden Kommunalwalen und den nächstjährigen Parlamentswahlen einen weiteren Überraschungserfolg erzielen. Damit wird die politische Szene skurriler und noch mehr Menschen wenden sich von der Politik ab – die schon hohe Politikverdrossenheit wird immer weiter zunehmen.
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